Vor mehr als 55 Jahren eröffneten Renate und Karl Kuchenbäcker das Schloss Beck: Ein Porträt über die Frau, die ihre Träume zurückstellte für die große Idee ihres Mannes.

Stolz – das ist eine Eigenschaft, die nicht zu Renate Kuchenbäcker passt. Klar ist die 89-Jährige stolz auf ihre Kinder. Aber auf das, was sie seit den 60er Jahren gemeinsam mit ihrem verstorbenen Mann in Feldhausen aufgebaut hat, ist sie nicht unbedingt stolz. Denn es war nie ihr Traum, den kleinen Freizeitpark am Schloss Beck zu besitzen. Die gelernte Lehrerin wollte Ärztin werden und nach Afrika gehen, um dort den Menschen zu helfen. Doch Loyalität und Durchhaltevermögen sind Eigenschaften, die zu Renate Kuchenbäcker passen. Ein Leben lang stand sie hinter ihrem Mann und seinem Traum.

Wenn die ersten Sonnenstrahlen zwischen den alten Buchen und Eichen hervorblitzen und ein kalter Nebel auf dem See ruht, beginnt für Renate Kuchenbäcker der Tag. Schließlich muss jemand die Türen für das Personal aufschließen, das früh kommt, um zu putzen. Tagsüber lässt es Renate Kuchenbäcker ruhig angehen. Aus dem aktiven Geschäft hat sich die 89-Jährige etwas zurückgezogen. Ihre beiden Töchter Karla und Katharina führen den Freizeitpark. Getrost kann Renate Kuchenbäcker mit ihrem Hund in den Wäldern rund ums Schloss spazieren gehen. Doch wenn man sie braucht, springt sie immer noch ein. Als Vertretung im Kassenhäuschen. Oder abends im Büro, wenn sie die Umsätze des Tages zählt.

Nicht immer dreht sich Renate Kuchenbäckers Alltag nur um das Schloss. Denn erst mit Mitte 30 wird die frühere Lehrerin zu einer Schlossbesitzerin. „Obwohl mein Mann Kaufmann war und wir einen Supermarkt in Marl und zwei Kinos besaßen, hatte er in seinem Leben immer einen Traum“, erinnert sich Renate Kuchenbäcker zurück. „Als er dann in der Zeitung gelesen hatte, dass das Schloss Beck versteigert werden soll, ließ ihn der Gedanke nicht mehr los.“

Auch durch die verotteten und heruntergekommenen Mauern sieht ihr Mann Karl Kuchenbäcker schon damals, wie schön das Anwesen eigentlich ist – sein Traum vom eigenen Schloss ist geboren. Und diesen Traum lebt fortan die ganze Familie Kuchenbäcker mit.

Da die Kuchenbäckers zu der Zeit schon Filmtanzbälle in ihren Kinos ausrichten, kommt ihnen der Gedanke auch auf ihrem neuen Anwesen Tanzbälle zu geben. Dazu bauen sie zunächst den größten Raum (den Kuh- und Schweinestall) im Seitengebäude um. Und nach und nach entwickelt die Familie immer mehr Pläne, das einmalige Anwesen zu nutzen. „Wir hatten damals fünf Kinder, das sechste ist hier geboren, und wir hatten immer das Gefühl, dass es sehr schwer war, mit ihnen irgendwo hin auszugehen. Es gab immer Theater“, weiß Renate Kuchenbäcker noch heute.

So kommt ihnen im Sommer 1967 die Idee, eine Kindergärtnerin zu engagieren, die während die Eltern im Café sitzen, die Kinder beschäftigt. „Das war natürlich auch nur eine Illusion“, sagt Renate Kuchenbäcker mit einem Lachen im Gesicht. „Aber im gleichen Jahr öffnete das Phantasialand zum ersten Mal seine Türen und da wussten wir, das ist die Geschichte.“ Der schöne Schlosspark hinter dem Herrenhaus bietet sich an, um einen kleinen Freizeitpark für Familien mit Kindern zu eröffnen. Für nur 50 Pfennig Eintritt kann hier den ganzen Tag getobt werden. Das kleine Spielparadies wird direkt zu einem beliebten Platz für kleine und große Abenteurer.

„Wir eröffneten unseren kleinen Park im September 67. Und es war ein wunderschöner Herbst. Wir hatten das Riesenglück, dass wir bis weit in den November offen haben konnten“, erinnert sich die Schlossbesitzerin an den gelungenen Start zurück. Unglaubliche 56.000 Besucher kommen in den ersten Monaten. So können die vielen kleinen Attraktionen, wie eine Rutsche oder eine kleine Eisenbahn, bezahlt werden. „Dass direkt so viele Besucher kamen, hat uns sehr mutig gemacht und wir wussten, das war die richtige Entscheidung, dass wir den Freizeitpark eröffnet haben.“

Im Laufe der Jahre geht es für die Kuchenbäckers immer wieder auf und ab. Der Park und sein Erfolg ist von gutem Wetter abhängig. „Es gab schreckliche Sommer, wo es vier Wochen in den Ferien nur geregnet hat“, erinnert sich Renate Kuchenbäcker. „Doch irgendwie kam dann immer ein guter Herbst, der alles ausgleichen konnte.“ Viel Stärke, Durchhaltevermögen und vor allem viel Mut braucht die Schlossbesitzerin, um den schweren Zeiten zu trotzen. Denn einen Weg zurück gibt es nicht mehr: Ihren Supermarkt und die zwei Kinos im Marl sind verkauft, alle Kraft und Ideen werden dem Schloss gewidmet. Durch die guten und die schlechten Zeiten gehen Renate und Karl Kuchenbäcker gemeinsam. Der große Traum ihres Mannes treibt sie beide an, immer weiter zu machen. „Es müsste eine Lebensweisheit sein, dass man wahrhaftig viel Vertrauen in seine Zukunft stecken sollte, denn irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo es wieder aufwärts geht“, sagt Renate Kuchenbäcker mit Zuversicht.

In den Jahren als Besitzerin eines Freizeitparks entdeckt die ehemalige Lehrerin ihren Geschäftssinn. Als Flüchtlingskind, deren Eltern ihre gesamte Existenz verloren hatten, lernt sie mit wenig Geld auszukommen und sorgsam mit Dingen umzugehen. Diese Sparsamkeit spiegelt sich im Park wieder: nach und nach investieren die Kuchenbäckers in Attraktionen, die sie gebraucht kaufen. Keine neusten Hightech-Achterbahnen. Nur das, was sie sich auch leisten können. Ein gebrauchtes Riesenrad, eine Schiffschaukel oder ein Kinderkarusell kommen im Laufe der Jahre hinzu. Im Nachhinein findet Renate Kuchenbäcker es gut, dass diese Geräte nicht neu waren. „Die alten Sachen passen doch viel besser zu so einem alten Haus“, findet die Kirchhellenerin und ergänzt: „Die Attraktionen sind sehr stabil. Ich bin immer noch überrascht, wie gut heute alles noch funktioniert.“

In den ersten Jahren als Schloss- und Freizeitparkbesitzerin muss Renate Kuchenbäcker darauf vertrauen, dass alles irgendwie seinen Weg geht. Doch auch das Glück ist ihnen manchmal hold. Wie zum Beispiel Ende der 70er Jahre. „Zu Beginn gehörte uns nur das Herrenhaus und der Park dahinter“, erinnert sich die 89-Jährige. „Dort konnten wir aber kein Fahrgeschäft aufbauen, da das Schloss unter Denkmalschutz steht.“ Die Ländereien rund ums Schloss gehören damals dem Energiekonzern VEBA. Als dieser Ende der 70er Jahre in schwierige Zeiten kommt, bekommen die Unternehmer die Chance, dass Nachbarland dazuzukaufen. Der große See, die Grachten und die Wiese gegenüber gehen in den Besitz der Kuchenbäckers. Endlich ergibt sich dadurch die Möglichkeit auch größere Fahrgeschäfte aufzubauen. „Mitte der 80er Jahre konnten wir unsere Marienkäferachterbahn kaufen“, erzählt Renate Kuchenbäcker. „Das war ein Schub für eine größere Besucherzahl.“  

Doch auch während der Freizeitpark Schloss Beck ein stetiges Wachstum erfährt, bleibt er stets klein und familienfreundlich. Und genau das ist auch das Geheimrezept für den jahrelangen Erfolg des kleinen Kirchhellener Parks: „Wir sind uns treu geblieben“, betont Renate Kuchenbäcker. In Zeiten, in denen im Feldhausener Nachbarpark ständig wechselnde Besitzer ihre großen Ideen umsetzen, bleibt Schloss Beck ein Treffpunkt für junge Familien mit kleinen Kindern. „All diese großen Nachbarparks haben uns sehr zur Disziplin gezwungen“, weiß Renate Kuchenbäcker. „Sie haben uns dazu gezwungen, unser Programm einzuhalten, nicht nach den großen Sachen zu streben, sondern bei den kleinen Sachen zu bleiben. Das war eine wichtige Entscheidung für uns.“ Und anscheinend auch die richtige, denn an ein goldenes Jubiläum kamen die Freizeitpark Nachbarn wie der Bavaria Filmpark oder auch Warner Brothers Movie World nie heran.

„Ich wünsche mir auch für die Zukunft, dass Schloss Beck sich weiterhin so treu bleibt“, erklärt die Schlossbesitzerin. Denn auch wenn es nicht mehr ihre Zukunft ist, hofft sie für das Schloss Beck, dass sich jemand findet, der den Park mit Leidenschaft weiterführt und somit auch der Traum ihres Mannes fortlebt. Der Traum, den sie selbst nie hatte und aus dem sie doch nie aufwachte.

In Zusammenarbeit mit:
Julian Schäpertöns und Katharina Boll